Kathrin Mädler wirft in Mainz einen sehr heutigen, aber nicht platten Blick auf Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ FRANKFURTER RUNDSCHAU
Der zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
Staatstheater Mainz 2024
Kleines Haus
Bühne & Kostüme: Franziska Isensee
Musik: Cico Beck
Dramaturgie: Boris C. Motzki
Mit: Iris Atzwanger, Vincent Doddema, Luise Ehl, Carl Grübel, Andrea Quirbach, Clara Schwinning, Hannah von Peinen
Fots: Andreas Etter
Die feministische Lesart in der Inszenierung von Kathrin Mädler am Staatstheater Mainz wird manifest unter anderem durch eine Gerichtsrätin Walter, die zur Revision aus Utrecht ins fiktive Kaff Huisum kommt. Die oberste Machtinstanz ist also eine Frau; Hannah von Peinen ist aufgemacht mit Weißhaar-Turmfrisur und Lackleder-Hosenanzug in Schweinchenrosa. Ihre Anweisungen gibt sie in einer gewissen sardonischen Süffisanz überwiegend von der obersten der monumentalen Stufen aus, die Ausstatterin Franziska Isensee entworfen hat. Auch der Schreiber Licht, der in der Tat Licht in die Sache bringen will, ist hier weiblich. Clara Schwinnig hantiert mit einem Handy, was – randständige Kritik an einer äußerst gelungenen Theaterarbeit – keinerlei Mehrwert hat. Riesenhaft erstreckt sich über die Stufen ein Bild, das Gemälde „Susanna im Bade“ der italienischen Barockmalerin Artemisia Gentileschi, die nach einer Vergewaltigung mit der Malerei begonnen haben soll.
Frankfurter Rundschau, Stefan Michalzik
Noch bevor aber Kleists wunderbare Sprache zu hören ist und das Geschehen des nächtlichen Besuchs des Dorfrichters im Zimmer Eves nach und nach enthüllt, führt uns die Inszenierung das Opfer vor Augen. Unter metallischem Dröhnen (Sound: Cico Beck) folgt das Publikum eine gefühlte Ewigkeit lang Luise Ehls sich Armzug um Armzug, von der obersten Stufe bis hinab ins Bühnen-Off quälenden geschundenen Eve. Vor Gericht gibt die frühere Frankfurter HfMDK-Studentin aber eine weitab vom Unschulds-Girlie angesiedelte selbstgewisse Frau im Trotz. (...) Mit Luise Ehl, Hannah von Peinen, Andrea Quirbach und einem famos aufspielenden Vincent Doddema, dessen Adam am Ende auf der untersten Stufe kauernd gerne vom Erdboden verschluckt werden würde, steht die Inszenierung auf einem starken personellen Gerüst.
Nur eindreiviertel pausenlose Stunden dauert die aufrüttelnde Aufführung, in der trotz zahlreicher Striche und der starken Fokussierung die Kleist’sche Sprache auch ihre heitere Wirkung nicht verfehlt. Es ist nicht der ganze zerbrochene Krug, doch dessen zentrale Scherbe, die auch unsere Gesellschaft zu spiegeln vermag – des Handys der Schreiberin hätte es dazu nicht bedurft.
(...) gelingt es Mädlers mutiger und kraftvoller Inszenierung ganz im Sinn der kürzlich in Berlin beim Theatertreffen gefeierten »Rückkehr der alten Dramen«, Kleists Klassiker unter vollem Erhalt seiner ursprünglichen Kraft gegenwärtig zu machen. Bravo.
Strandgut Kulturmagazin, Winnie Geipert
Die Kleist Komödie wird hier zum zornigen Beitrag in der #metoo-Debatte. (...) weil sie in Mainz die gallige Variant-Fassung spielen, kriegt das Opfer am Ende seine Abrechnung: ein schmerzhaft scharfer Monolog vor dem Adam nicht wegrennt wie bei Kleist. Lauernd langsam geht er ab, verzieht sich vor die esrte Zuschauerreihe. Keine Ausflucht mehr und keine Flucht. Das ist in Mainz die faire Höchststrafe für den Dorfrichter.
Mainz-Spitze, Stefan Benz