„Eindringlich, notwendig, zeitlos aktuell...spannend, wie der zweite Teil den ersten Teil des Abends spiegelt, beißend böse, zynisch grotesk… Eine Art zynischer Bestandsaufnahme deutscher Erinnerungskultur“ DEUTSCHLANDFUNK Dorothea Marcus
BRUDER EICHMANN/GESCHWISTER EICHMANN (UA)
von Heinar Kipphardt/Lukas Hammerstein
Theater Oberhausen 2025
Großes Haus
Bühne & Kostüme: Mareike Delaquis Porschka
Musik: Cico Beck
Dramaturgie: Laura Mangels
Mit: Torsten Bauer, Nadja Bruder, Oliver El-Fayoumi, Anke Fonferek, Regina Leenders, Anna Polke, Philipp Quest, Clara Schwinning, Klaus Zwick
Fotos: Birgit Hupfeld
Sensationell! ...Mit ritualisierten Schritten nähert sich eine siebenköpfige Trauergemeinde und murmelt: „Alles wird gut. Alles hat seine Zeit. Da sind wir jetzt, eine ganz nornale Familie.“ Diese Sätze bilden eine Klammer zwischen den beiden Teilen des Abends, den Kathrin Mädler am Theater Oberhausen inszeniert hat. „Alles hat seine Zeit“? Die Sätze der Trauergemeinde stammen aus dem Hammerstein-Stück, und wir werden angesichts jüngster politischer Entwicklungen aufpassen müssen, dass sich die Zeit, die da gemeint ist, nicht wiederholt…. Hammersteins rhythmisierter, fast experimentell zu nennender Text (ist) ein Fall für Sprach- Akrobaten. Bei Kipphardt wird Hannah Arendts anlässlich des Jerusalemer Prozesses aufgestellte These von der Banalität des Bösen in der Person der Titelfigur greifbar. Hammerstein aktualisiert diese These sowohl inhaltlich als auch sprachlich und zeigt ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz. Virtuos gestaltet das Oberhausener Ensemble den Text als Partitur, spricht in der Wir-Form aus der Sicht von uns „herzensguten Leuten aus Mölln und Solingen, Hoyerswerda und Hanau“, schaut auf schnell entnazifizierte Künstler und Promis, auf Hass und Gleichmut, verordnete Betroffenheit… Das Ensemble macht den Text zum Erlebnis-Parcours. Dietmar Zimmermann, Rheinischen Post
Schlussstrichchor...Das achtköpfige Ensemble agiert vorzüglich präzise, und das gilt auch für den zweiten Teil des Abends. Lukas Hammerstein, anknüpfend an Arendts und Kipphardts Theorie von der Banalität des Bösen, lässt in seinem Fließtext die Verdrängungs- und „Bewältigungs“-Anstrengungen im Nachkriegsdeutschland Revue passieren. Jetzt wird meist, sehr schnell, sehr flüssig, im Chor gesprochen. Hammerstein geht nicht gerade zimperlich vor… Subtil ist das nicht, aber es lässt sich wirkungsmächtig herbeten. Und so geschieht es, an diesem vermutlich notwendigen und sich heftig einbrennenden Theaterabend in Oberhausen, unweit von Solingen.“ Nachtkritik
«Das Böse ist nicht düster, es ist mittelhell und uns nur zu verwandt. Es wohnt mitten unter uns», schreibt Hammerstein in seinem Essay «Die Guten und das Böse» (2015). Sein Stück «Geschwister Eichmann» sprudelt diese Gedanken als Sprachgewitter heraus, mit Sprüngen, Brüchen und (Ver-)Drehungen. Gesprochen wird größtenteils im Chor, was eine größere Wucht hat. Hammerstein schreibt im Staccato an gegen ein beruhigendes Gefühl, als Gesellschaft «wieder gut gemacht» zu haben, gut geworden zu sein. So ruft an diesem Abend alles nach der Unruhe – trotz oder gerade wegen einer strukturierten Strenge. Die knallt nicht rein, hängt aber lange nach.
Sarah Heppekausen, Theater Heute
Der Funktionär in uns...Ein erschreckendes und zugleich wichtiges Doppelstück über Schuld und die Banalisierung des Bösen… Lukas Hammersteins chorischer Text dreht sich um das Wort „Wir“ und umkreist in einer Ode an die Banalität des Bösen … die Geschichte von BRD, DDR und Deutschland der Gegenwart: Was in Kipphardts „Eichmann“ ausgeführt wird, entwickelt hier das nachgeborene Volk weiter: eine selbstgerechte, (sich selbst) anlügende Verdrängung von Vergangenheit und Verantwortung. Detlev Baur, Deutsche Bühne
Deutschlandbankett spezieller Art ...Mädler verschränkt das dokumentarische Theaterstück mit einer frei assoziativen Wortkaskade. Dabei erweist sich die Bühne von Mareike Delaquis Porschka als genial hintersinnig, denn das Premierenpublikum, das an diesem Abend die deutsche Gesellschaft symbolisiert, kann nicht am Grabhügel vorbeisehen. Da müsste man ihm schon den Rücken zuzudrehen, was unweigerlich den Preis hätte, sich von der Gemeinschaft abzuwenden. Noch raffinierter wird es, wenn der zweite Teil des Abends sich wie das Positiv zum Negativ verhält. Die düstere Höhle weicht einem hellen Raum, statt strenger schwarz-weißer Kleidung dominiert nun Legeres in Beige. Hammersteins Text zeigt ein weit freundlicheres. weltoffeneres Deutschland, aber auch, wie manches Echo aus dem dritten Reich nachschwingt. Zwischen Sommermärchen und Schlussstrichrhetorik, Kita und Krisenmodus, Onkel „Warichnich* und Tante „Wusstichnich“ besteht das „Geschwister Eichmann“ genannte Kollektiv darauf, jetzt zu den Guten zu gehören: Da sind wir jetzt, eine ganz normale Farilie. Anke Demirsoy, Westfälische Rundschau
Für Klaus Stübler, Ruhr Nachrichten, liegt der Kern des Abends in dem Satz des Sprechchors aus dem Lukas-Hammerstein-Teil: „Stell dir vor, es ist Vergangenheit und keiner hört hin… Kathrin Mädler erhebt in Oberhausen so laut ihre Stimme, dass das nicht geschieht.
Torsten Bauer, leistet als Eichmann Großes, indem er ohne jede falsche Dämonie die lavierende Selbstentlarvung eines befehlsgläubigen Technokraten zeigt. Alexander Menden, Süddeutsche Zeitung
Sensationell theatermail nrw